Wird nicht im Lorscher Kräutergarten gezogen, ist jedoch eine uralte Kulturpflanze und medizinisch wirksam: Hanf, oder Cannabis sativa.

Selbst wer noch nie einen Joint durchgezogen hat, spricht aktuell über Haschisch, Marihuana - oder Knaster. Unsere Bundespolitik hat das Kraut als klassischen Nebenkriegsschauplatz installiert, und jeder weiß etwas dazu. CSU-Politiker tun sich besonders hervor, mit dem Maßkrug in der Faust. Hanf sei eine Einstiegsdroge - aber wenn man ungestraft im Vollrausch Menschen totfahren darf, ist es für jede Einstiegsdroge zu spät. Christian Lindner will den Hanfkonsum dadurch eindämmen, daß steuerfreies privates Bierbrauen für 500 statt 200 Liter erlaubt wird. Eine Maßnahme, die gigantische 11.000 Euro an Verwaltungsaufwand einspart...

Knaster ist die früher gebräuchliche Bezeichnung für das Kraut, auch Scheierbambel genannt. Unsere Vorfahren brauchten es jedoch nicht (nur) zum Rauchen: man machte haltbare Seile, Stricke und Gurte daraus, oder Segeltuch und Netze. Auf Hanfpapier wurden früher Geldscheine gedruckt. Die Pflanzen schützten zudem andere Feldfrüchte vor Schädlingen. Zogen die Großeltern aufs Altenteil, erhielten sie fünf Pfund Hanf pro Jahr als Auszugsleistung, und zu vielen Bauernhöfen gehörte eine Hanfbreche. Das war ein Platz, wo die geernteten Pflanzenstiele geröstet wurden, erst dann wurden sie weich und biegsam für die Weiterverarbeitung.

Im 2. Jahrtausend vor Christus gelangte die Hanfpflanze bei Völkerwanderungen auch nach Europa, wie Funde belegen. Die Thraker webten um 500 vor Christus Kleidung aus Hanf, die Römer kennen es seit 100 v. Chr. - und den Römern war auch bereits die Heilwirkung der Pflanze bekannt.

Im Odenwald glaubte man lange, daß die weiblichen Pflanzen aufgrund ihres kräftigeren Wuchses die männlichen seien und nannte sie Mastel - von lat. masculus = männlich. Die kleinere männliche Pflanze hielt man für weiblich und nannte sie Femel von lat. memellus = weiblich. In seiner Dorfältestenbefragung in Lautern 1963 konnte der Heimatforscher Heinz Bormuth rekonstruieren, wie der Hanf angebaut wurde. Man zog schmale Feldstreifen mit weiblichen und männlichen Pflanzen zwischen die Krautfelder, diese hielten mit ihrem Geruch die Kohlweißlinge fern. Die männlichen Pflanzen wurden früher reif und daher auch früher geerntet. Man konnte nur frisch geerntete Stängel verarbeiten. Im Brechloch wurden sie "rösch" gemacht (= geröstet). Dazu legte man die Stängel auf eine Dörre über Rauch, oder aber in Wasser. Letzteres nennt man rotten. Nach dem Dörren kamen die Stängel auf den Brechbock (wenn er von Männern bedient wurde) oder auf die Brechgeiß (bei weiblichen Arbeitern - Humor hatte man im Odenwald, auch wenn die Arbeit schwer war). Die Heldmannsmühle in Lautern hatte eine Hanfreibe, die diese mühselige Arbeit mechanisch übernahm.

In Birkenau stand zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch eine Reibmühle (Heinz Reitz, Die Hanfreiben in Südhessen, Geschichtsblätter Band 16 1983 - überliefert durch G. W. Justin Wagner, Großherzogtum Hessen 1829). Diese Reibmühle war ein Multifunktionsbetrieb: hier konnte sowohl Getreide als auch Gips gemahlen, Öl gepreßt, Holz geschnitten und Hanf gerieben werden. Laut Heinz Reitz ist die Mühle die einzige Hanfreibe im Gebiet des heutigen Kreises Bergstraße. Bekannt ist sie als Obere Carlebach-Mühle oder Kinscherfsche Mühle, zusammen mit sechs weiteren Mühlen liegt sie im Weschnitztal zwischen Birkenau und Weinheim (siehe https://www.sechs-muehlen-tal.de/sechs-muehlen-weg/kinscherfsche_muehle.html).

Auf dieser Onlineseite steht bei folgenden Mühlen zu lesen, daß sie auch als Hanfreibe in Betrieb waren: die untere und die obere Fuchs'sche Mühle. Deren Eigentümer Georg  Fuchs, 1983 der Betreiber des Hotels Fuchs'sche Mühle, teilte Heinz Reitz mit, daß er einen alten Hanfreibestein hat. Unterlagen zur Funktion der Kinscherfschen Mühle (auch als Carlebachmühle bezeichnet) als Hanfreibe sind leider nicht mehr vorhanden, dafür hat Heinz Reitz sich in der weiteren Umgebung nach anderen Hanfreiben umgeschaut.

Die Hanfreibe diente dem Brechen der Hanf-Fasern. Man muß sie sich vorstellen als Kollergang aus Steinen. Ein alternatives Verfahren war die Bockmühle: hier wurden die Fasern mit dem Hammer geschlagen oder "gebleut", den Vorgang nennt man auch Bocken. Im Kollergang lief ein konischer Läuferstein an einer Zentralnabe (Königsstock) auf einer Steinscheibe im Kreis. Angetrieben wurde der Kollergang durch Wasserkraft, so wie alle Mühlen entlang der Weschnitz. Ähnlich der Hanfreibe funktioniert eine Ölmühle, und tatsächlich gewann man seit dem Mittelalter aus Hanffasern vor allem das Öl. Fasern wurden nur in zweiter Linie hergestellt. Oftmals konnte der Müller einen solchen Kollergang für beide Zwecke nutzen, wodurch sich seine Mahlsaison verlängerte.

Die weichgeklopfte Faser konnte zu Bindfäden oder Seilen weiterverarbeitet werden, oder auch groben Geweben. Im 19. Jahrhundert baute man doppelt soviel Hanf an wie Flachs, obwohl die Hanfstängel gröber sind. Man kannte zwölf Arbeitsgänge: "gerobbt, gerefft, geriest, gederrt, gebroche, geschwingt, gehechelt, gebunne, gesponn, gehaspelt, gekocht, gewowwe" (Gerd J. Grein, der bäuerliche Alltag I, Sammlung zur Volkskunde in Hessen Heft 14). In der Hanfreibe wurde der gehechelte und zusammengedrehte Hanf weich geklopft.

Obwohl handwerkliche Hanfreiben längst verschwunden sind, kennen wir noch heute den Ausdruck "sich aufreiben". Er kommt daher, daß die Nutzer des Kollergangs selbst bedienen mußten und sehr auf ihre Hände aufpassen mußten, wenn der Läuferstein vorbeikollerte. Mit ihren Händen wendeten sie die Fasern auf dem Bodenstein, während der Läufer immer näher kam.

Hanfreiben waren auch nicht steuerpflichtig, so daß es keine Aufzeichnungen über Mengen und Preise gibt. Heinz Reitz ging ihrer Existenz auf den Grund und konnte Hanfreiben ermitteln für Birkenau, Wersau, Fränkisch-Crumbach, Groß-Umstadt, Höchst, Mümling-Grumbach, Ernsthofen (Gasthaus zur Alten Mühle), Nieder-Modau, Ober-Ramstadt, Habitzheim und Reinheim. Die Belege stammen entweder von Justin Wagner (1829) oder aus dem (damals noch lückenhaften) Brandkataster.

Gute Ernteergebnisse verzeichnet die Großherzoglich hessische Statistik für 1849-1851, danach sind sie rückläufig, bis der Hanfanbau erlischt: 1864 wurde in Starkenburg auf 2046 Morgen Hanf angebaut, 1889 nur noch auf 966, 1904 auf 262 und 1914 auf 14 Morgen. Diese Angaben hat Friedrich Maurer gesammelt (Unser Odenwald 1914). Im Großherzogtum Hessen förderte man lieber den Anbau von Tabak und Zuckerrüben. In den 1930er Jahren stieg der Hanf- und Flachsanbau nochmals an, aber fünfzig Jahre später wurde Hanf für die Faserproduktion vor allem in der Sowjetunion angebaut.

Heute kann man eine funktionsfähige Hanfreibe nur noch im Freilichtmuseum betrachten, z.B. auf dem Vogtsbauernhof

Weil zu viele Menschen die "medizinische" Wirkung der Hanfpflanzen nutzten, wurde schließlich der Anbau verboten. Vorher verbrannte die Dorfjugend unter großer Gaudi die Brechknoddel, die Abfälle aus dem Brechloch. Auch das Ausraufen der Pflanzen führte zu leichten Betäubungserscheinungen. Allerdings ist in unseren Breiten der THC-Gehalt eher gering - das galt aber nur bis zum Klimawandel! Und wer möchte erzählen, daß die Hanfsamen im Vogelfutter kein THC enthalten? Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Ihr Kanarienvogel so schön singt?

In unserem Kulturkreis wurde Cannabis verboten, während er im orientalischen Raum schon immer als Droge eingesetzt wurde. Dort wiederum meidet man den Alkohol, was man von Westeuropa nicht behaupten kann. Aus dem Orient kamen im Mittelalter die Haschischin, die Assassinen oder Selbstmörder. Dieser Orden bedrängte und bedrohte die westlichen Kreuzfahrer erheblich. Die wiederum gaben sich Wein und Weihrauch hin.

Würde man den heutigen "konservativen" Politikern erklären, daß Hanf und Hopfen aus ein und derselben Pflanzenfamilie stammen, würden sie dann auch ihre Maßkrüge wegsperren? Hopfen wird seit dem 8. Jahrhundert in heute deutschen Regionen angebaut, sein Bitterstoff Lupulin gibt dem Bier seinen würzigen Geschmack und sorgt für seine Konservierung. Zu viel Hopfen bedeutet narkotische Wirkung, zu wenig Hopfen dagegen läßt das Bier sehr schnell verderben. Um ein trinkbares haltbares Bier zu brauen, setzte man daher auf höheren Alkoholgehalt. Der war den Mönchen einfach unverdächtiger als der narkotisierende Hopfen. Starkbier stellte früher während der Fastenzeit ihre einzige Nahrung dar, daß da auch Alkohol drin war - das war wohl eher ein Verfahrensfehler...

In diesem Sinne: Prost! Marieta Hiller, im April 2024