Die Monatszeitschrift Durchblick erscheint seit 1995 im Lautertal und seit 2008 auch im Modautal. Lautertal hat 12 Ortschaften, Modautal elf - ergibt zusammen 23 Dörfer, die ihren ganz eigenen Charakter haben. Vor einiger Zeit rief ich im Durchblick alle Leserinnen und Leser auf, mir die Besonderheiten ihrer Dörfer zu schreiben: Historisches, Geografisches, Anekdoten...

Lange kam das Projekt „23 Dörfer - ein jedes ein Unikat“ nicht voran, aber jetzt ist es fertig: in meinem 3. Jahrbuch finden Sie Porträts unserer kleinen und großen Dörfer.
Besonders reizvoll bei der Darstellung der beiden Gemeinden ist, daß sie nicht nur zu verschiedenen Landkreisen gehören, sondern außerdem historisch betrachtet ganz unterschiedlicher Herkunft sind. Das Lautertal gehörte zur Kurpfalz, das Modautal zu Kurhessen. Die Grenze verläuft vom Felsberg über die Wasserscheide zwischen Grauelbach und den im Atzenrod entspringenden Bächlein durch das Flurstück Linsenfeld bei Beedenkirchen, am Atzenrod entlang zum Halsberg (Grenzpunkt Beedenkirchen - Allertshofen - Brandau), von dort nach Südosten zum Brenner Eck und zum Hinkelstein (Reonga?), von dort weiter hinauf zur Neunkircher Höhe.
In diesem dritten Jahrbuch der Spinnstubb 2.0 werden die Geschichte(n) der ersten beiden Jahrbücher weitergesponnen. Von der Industrialisierung zurück zum Beginn der Landvermessung und zur Landwirtschaft vor 250 Jahren ging die Zeitreise im ersten, von der Steinbearbeitung seit der Zeit der alten Römer über historische Bergwerke und Steinbrüche bis zur Moderne ging es im zweiten Jahrbuch, bis wir schließlich bei Reonga landeten, dem geheimnisvollen Grenzpunkt der Heppenheimer Markbeschreibung aus der Zeit vor über 1000 Jahren.
2023 geht es darum, menschliche Besiedelung im Odenwald anhand von Flurkarten und Flurnamen dingfest zu machen. Überliefertes verliert oft über die Jahrhunderte seinen ursprünglichen Sinn. Welche Informationen wirklich objektiv sind, können wir nicht wissen. Objektivität schließt sich ja per se aus im menschlichen Umgang. Jede Nachricht - und sei sie auch noch so sachlich und in der Tagesschau verkündet - ist geprägt durch menschliche Filter - und inzwischen auch durch künstliche Intelligenz.
Um so stärker waren die Menschen der Spätantike und des Mittelalters abhängig von der Vertrauenswürdigkeit einer Nachricht. Dokumente waren aus diesem Grund oftmals recht handfest, wie die Sitte der Grenzstein-Ohrfeigen belegt, sie wurden aus Stein oder Metall gefertigt und unter Grenzsteinen eingegraben.
Die Menschen konnten nicht lesen, der Klerus hütete diese Kunst und hielt historische Quellen strikt geheim. Wichtiges Wissen lag unzugänglich in Bibliotheken. Was die Menschen wußten und wissen durften, wurde  mündlich weitergegeben.
Die Phantasie trug ihren Teil dazu bei: die Weitergabe mußte spannend klingen, damit die nächsten Generationen den tradierten Quellenberichten Aufmerksamkeit widmeten. Dabei kam es oft nicht so stark auf belegbare Fakten an - die Menschen brauchten diese auch nicht, weil sie ja in einem feudalistischen System ohne Entscheidungsfreiheit lebten. Vielmehr wurden Geschichten beibehalten, weil sie kurios klangen und die Phantasie anregten. So behielten auch Inhalte ihren Platz in den Erzählungen, die längst vergangen waren und nicht mehr verstanden wurden.
Gab es in vorindustriellen Zeiten übersinnliche Fähigkeiten? Hexerei, Zauberei, Magie? Konnten Menschen zaubern? Gab es das auch in Odenwälder Bauernhäusern? Hatten besondere Menschen „das Zaubern in der Maus der rechten Hand“ wie der Nickel Bitsch aus Knoden? Was hat es mit der Knodener Kunst auf sich - dem Einsatz weißer Magie?
Dazu reisen wir zurück in die Zeit direkt nach dem 30-jährigen Krieg und den Pestepidemien, in ein waldreiches menschenarmes Land... Hier stoßen wir auf die Ursprünge unserer Märchen, Sagen und Gruselgeschichten - aber auch immer wieder auf den Einfluß von Änderungen im Klima. Klimawandel ist nichts, was die Zeit der letzten Generation für sich allein beanspruchen kann.
Weiter zurück geht unsere Zeitreise: auf den Untergang des römischen Reiches folgten gut fünfhundert Jahre Völkerwanderungszeit, Ursprung vielfältiger neuer Einflüsse und Kenntnisse, die hier auf eine Kultur ohne Schrift stießen - wenn wir die schriftliche klerikale Kultur außen vor lassen, von der die Bevölkerung ferngehalten wurde.
Wir beschließen die Zeitreise zu dem Moment, als Fortschritt und Vernunft jahrhundertealte Strukturen aufbrachen. Doch wie es mit den Menschen so ist, kann es einerseits etwas Gutes sein, alte Strukturen neu zu denken. Andererseits schafft es der Mensch nicht immer, eine Sache zu Ende zu denken. Und so gab es zur Zeit der Aufklärung eine große Gruppe Menschen, die plötzlich aus dem System fielen. Ihr jahrhundertelang durch die Obrigkeit geregeltes Leben geriet aus den Fugen, aus der gewohnten Armut des Untertanenlebens fielen sie in die neue Armut der Unversorgtheit. Mitte des 18. Jahrhunderts bildete sich eine Kaste der Vogelfreien: Räuber. Von der Hand in den Mund lebten die Menschen der Odenwalddörfer auch vorher schon, jetzt aber mußten sie es sich mit Gewalt nehmen. Wo lebten sie, wo verbargen sie sich? Damit, und mit der Ortsbezeichnung „Freiheit“ schließt sich der Bogen der Zeitreisen durch die Odenwälder Geschichte, allerdings nicht ohne gelegentliche Abstecher in die aktuelle Gegenwart.
Wo Sie das Jahrbuch erhalten, finden Sie auf Seite 4. Marieta Hiller